Detlef Hosemann
Lieber Ernst-Wilhelm Händler, wie spreche ich denn am besten mit Ihnen – als ein Banker oder als ein Leser?
Ernst-Wilhelm Händler
Bitte agieren Sie so, wie es Ihnen entspricht.
DH
Vielleicht lassen Sie uns mit einem kurzen Blick auf die äußere Handlung Ihres Buchs beginnen: Ein Frankfurter Banker muss 500 Millionen Dollar aus einem Börsengang anlegen und sucht dafür den richtigen Hedgefondsmanager. Zwei Hedgefondsmanager und eine Hedgefondsmanagerin kommen in Frage und versuchen, die Sache für sich zu entscheiden. Ich habe allerdings den Eindruck, Sie sind als Autor gar nicht in erster Linie daran interessiert, wer das Geld bekommt. Es scheint Ihnen eher um das Denken dieser Menschen und deren Wahrnehmung der Welt zu gehen. Wie ist dieses Denken?
EWH
Es ist in der Tat sekundär, wem der Banker schließlich die halbe Milliarde des Gründers zur Anlage gibt.
Mir geht es darum, die Welt zu schildern, in der die Hedgefondsmanager und der Banker leben. Die intelligenten Finance-Leute leben in ihren Theorien und in ihren Methoden wie andere Menschen in ihren Häusern. Die handlungsleitenden Modelle in Finance sind mathematisch und maximal abstrakt. Im Gegensatz zu Mathematik und Physik gibt es in Finance jedoch immer eine ganz unmittelbare Verbindung der Modelle zum konkreten Leben: Man sieht es sofort auf dem Bildschirm, und man liest am nächsten Tag die Synopsis in der Financial Times und im Handelsblatt.
Die Methoden und Theorien der Protagonisten sind unauflöslich mit ihren Charakteren verbunden. Es ist die Pflicht des Romanautors, die Charaktere und die Lebensumstände seiner Protagonisten zu schildern. Nichts anderes tue ich.
DH
Ihre Ableitung von Charakter und Lebensumständen einer – auch für Insider des Finanzsystems – eher selten direkt zu beobachtenden Spezies wie dem Hedgefondsmanager führt zu einer anderen Darstellung als den üblichen Beschreibungen dieser Figuren in der Literatur. Diese sind oft klischeehaft, satirisch oder links-kritisch. Was führt dazu, dass Ihre Sichtweise auf das Denken der Finanzmenschen eine andere ist? Ist deren Denken auch Ihr Denken?
EWH
Die Protagonisten des Romans sind Hedgefondsmanager, weil ich glaube, dass Hedgefonds die Essenz von Finance verkörpern. Das Klischee sieht bei Finance nur die Gier nach der Ansammlung von möglichst viel Geld. Das ist irreführend. Gier gibt es auch bei allerkleinsten Beträgen.
Das Entscheidende an Finance ist der performative Charakter aller Handlungen. Der Mathematiker arbeitet auf dem Papier und am Computer, er ist in einer Welt zu Hause, in der es keine Zeit, sondern nur Raum gibt (man kann so ziemlich jede Mathematik räumlich darstellen, Zeit ist immer nur Ordnung von Komponenten). Der Physiker entwickelt eine Theorie, er testet sie durch Experimente, erst der Ingenieur sorgt dafür, dass die Theorie auf die Wirklichkeit einwirkt. Bei Finance erfolgt die Einwirkung direkt und instantan.
Die »Masters of the universe« sind nicht deswegen solche, weil ihnen die Welt gehören würde oder weil sie den Besitz der Welt verwalten, im Klischee, weil sie so viel Geld hätten. Sondern weil sie sagen, dass die Welt so aussieht, und dann sieht die Welt tatsächlich so aus. Das hat überhaupt nichts damit zu tun, wem die Welt gehört. Das Standardbeispiel ist die Optionsbewertung nach Black-Scholes: Nachdem die beiden ihre Formel publiziert hatten, waren sich alle einig: Das ist der wahre Wert der Option. Analoges gilt für Portfoliotheorien und Risikomanagement: Alle sind sich einig, das sind die Risikofaktoren bzw. die Risikowahrscheinlichkeiten.
Das Performative ist auf allen Ebenen wirksam. Wenn Bill Gross zu seinen besten Zeiten gesagt hat, die Bond-Welt sieht so und so aus, dann sah sie so aus. Wenn Ray Dalio zu seinen allerbesten Zeiten – seine Zeiten sind immer noch ziemlich gute – die Risiken so und so gewichtet hat, dann hatten sie diese Gewichte. Oder John Bogle: Die ETFs sind der – vorläufige – glatte Sieg der Efficient market hypothesis.
Der performative Charakter von Finance interessiert mich ungeheuer. Aber wenn ich ganz genauso denken würde wie Hedgefondsmanager, dann würde ich keine Romane schreiben.
DH
Der performative Charakter ist sicherlich ein wesentliches Merkmal des Handelns der Hedgefondsmanager – aber wirklich aller ihrer Handlungen? Was ist mit den Lebensumständen der Hedgefondsmanager, ihrem Privatleben? Nehmen wir die Figur des »Nano-Manns« in Ihrem Buch. Entzieht sich nicht das Leben des Bruder des Nano-Manns in Ihrem Roman schon völlig der Vorstellung, die der Nano-Mann davon hat? Wie ist die Beziehung des Bruders des Nano-Manns mit dem Klippenspringer einzuordnen?
EWH
Das ist natürlich richtig: Keineswegs alle Handlungen eines Hedgefondsmanagers sind performativ. Wie auch sonst im Leben gibt es jede Menge konstatierende Routine.
Die Protagonisten des Romans – »der Banker«, »der Nano-Mann«, »der schwere Mann«, »Banana Clip« – stehen allesamt ihrem Privatleben hilflos gegenüber. Der Nano-Mann ist vom Verschwinden seines Bruders und der Erkenntnis erschüttert, dass die Beziehung zu seinem Bruder nicht diejenige war, die er vorausgesetzt hat. Die Sache mit dem Klippenspringer ist nicht im mindesten homoerotisch. Der Bruder suchte beim Klippenspringer das Fühlen. Aber er musste erfahren, dass es dort nur darum geht, das Fühlen bis ins Allerletzte zu kontrollieren.
Was die anderen Hauptfiguren angeht: Der Banker versteht nicht, dass seine Freundin eine größere Zuneigung zu ihm beweist, indem sie ihn verlässt, als wenn sie mit allen materiellen Vorteilen bei ihm bleiben würde. Der schwere Mann hat immer nur Beziehungen, die seine Partnerinnen in dienender Funktion sehen. Und Banana Clip weiß gar nicht was das ist: Privatleben.
DH
Das Besondere an Ihrem Buch ist natürlich auch, dass das Geld spricht. Sie geben dem Geld eine eigene Persönlichkeit, ja noch mehr, Sie lassen das Geld sich selbst als allwissenden Erzähler und Autor der Figuren Ihres Buches bezeichnen. Was ist Ihre Idee dabei, das Geld in dieser Form sprechen zu lassen? Welche Rolle spielt Simmels Philosophie des Geldes bei dieser Personifizierung?
EWH
Die Idee für das sprechende Geld ist: Die Menschen und die Programme bzw. die Maschinen sind in einer Interaktion, die zur Folge hat, dass sich die Programme bzw. die Maschinen und die Menschen einander annähern. Wenn Sie etwas von Ihrer Kreditkartenfirma wollen, müssen Sie sich am Telefon mit dem Empfangsprogramm auseinandersetzen. Sie telefonieren nicht wie mit einem Menschen. Analoges gilt natürlich für alle Apps. Das formt das menschliche Verhalten. Zugleich werden nicht nur kognitive, sondern auch emotionale Entscheidungen an Maschinen delegiert, siehe etwa bei Kreditentscheidungen. Das Bauchgefühl des Filialleiters hat ausgedient.
Menschen werden maschinenähnlicher, Maschinen werden menschenähnlicher. Wo, wenn nicht in der Literatur, könnte man besser damit experimentieren, nicht nur Maschinen und Programmen, sondern auch und überhaupt abstrakten Entitäten – wie dem Geld – Persönlichkeit zuzuschreiben?
DH
Lassen Sie mich den Versuch starten, die Persönlichkeit, die Sie dem Geld zuschreiben, mit einem aktuellen Aspekt zusammenzuführen: negativen Zinsen. Die Funktion des Geldes als Wertaufbewahrungsmittel ist eingeschränkt, es muss ausgegeben werden. Sind negative Zinsen der Versuch, dem Geld einen Zweck beizumessen, das Wesen des Geldes zu beeinflussen? Das Selbstbewusstsein, mit dem das Geld in Ihrem Buch auftritt, scheint mir nicht mehr gerechtfertigt!
EWH
Das Geld spricht laut im Dunklen, weil es sich selbst Mut machen will. Es hat seine allesbeherrschende Stellung verloren. Die Negativzinspolitik der Zentralbanken ist Ausdruck einer fundamentalen Änderung in den Denkgewohnheiten. Früher standen sich in der Nationalökonomie und der Soziologie das Individuum und das Geld wie zwei Monolithe gegenüber. In der Ökonomie – Ernst Fehr, Daniel Kahnemann, Alwin Roth – und in der Soziologie – Harrison White, Bruno Latour – geht es nicht mehr um Individuen, sondern um Prozesse und Konstellationen. Bei Latour formen Individuen und Maschinen gleichberechtigt soziale Situationen. Das Geld ist zu intelligent, um nicht zu sehen, dass es nur noch ein Akteur unter vielen ist. Aber es sträubt sich emotional gegen diese Einsicht.
DH
Dass das Geld sich selbst Mut macht – das finde ich einen bemerkenswerten Aspekt. Zeigt es doch, dass das Geld emotional ist, dass es Angst hat und dass es sich selbst als Akteur in ökonomischen und sozialen Prozessen wahrnimmt. Eigenschaften also, die man bei dem allmächtigen Geld nicht vermuten würde – und ich bin mir auch jetzt noch nicht sicher, ob ich dem Geld diese Intelligenz und Reflexionsfähigkeit zutrauen würde! Je länger wir uns über Ihr Buch austauschen, desto stärker treten grundlegende, soziologisch beschreibbare Zusammenhänge in den Mittelpunkt.
EWH
In der Literatur handeln Menschen, es ist deshalb natürlich, dass Geld in der Literatur zuerst in Bezug zu einzelnen Menschen gesetzt wird. Ob sie viel oder wenig davon haben, was es ihnen bedeutet. Aber Geld ist auch ein Klebstoff für die Gesellschaft. Mein Roman untersucht gewissermaßen die allgemeinen Eigenschaften dieses Klebstoffes.