In deinem neuen Buch ›Zukunft machen wir später. Meine Deutschstunden mit Geflüchteten‹ berichtest du vom Alltag als Deutschlehrerin für Geflüchtete. Wie kamst du dazu, Geflüchtete zu unterrichten?
Im Sommer 2015 kamen bei mir verschiedene Dinge zusammen: Nach dreißig Jahren freiberuflicher Arbeit als Musikerin und Autorin stellte sich bei mir immer mehr ein Unbehagen ein, ständig »kreativ« sein zu müssen. Es ist so mühsam, sich ständig ein neues Thema für das nächste Buch, den nächsten Artikel, die nächste Platte zu überlegen. Daraus entstand die Sehnsucht nach einer etwas handfesteren Arbeit. Gleichzeitig erreichte im Sommer 2015 die sogenannte Flüchtlingskrise in Deutschland ihren Höhepunkt. Überall wurde über »die Flüchtlinge« berichtet. Ich dachte, der Deutschunterricht wäre ein gutes Mittel, »die Flüchtlinge« mal persönlich kennenzulernen. Gleichzeitig konnte ich in einer ehrenamtlichen Initiative ausprobieren, ob Deutschunterricht ein neues Tätigkeitsfeld für mich sein könnte.
Warum hast du dich entschieden, ein Buch über das Thema zu schreiben?
Eigentlich wollte ich damals ein fiktives Sachbuch zum Thema »Älterwerden« schreiben – »The Joy of Ageing«. Aber die Recherchen zum Thema deprimierten mich zusehends. Eine Freundin, der ich immer Geschichten aus dem Deutschunterricht erzählte, riet mir dazu, das Älterwerden-Buch fallenzulassen und aus meinen Deutschkurs-Geschichten ein Buch zu machen.
Gab es für dich eine besondere sprachliche Herausforderung, über Geflüchtete zu schreiben?
Wenn man über geflüchtete Menschen schreibt, läuft man Gefahr, in einen sehr getragenen Tonfall, in einen Kitsch-Tonfall, zu geraten. Da hilft es, lakonisch zu bleiben. Da mein Tonfall aber sowieso ein lakonischer ist und ich eine natürliche Allergie gegen die moralisch-betroffene Prosa und eine verkünstelte Sprache habe, ist mir das nicht schwergefallen. Empathie und Haltung kann man zwischen den Zeilen zeigen.
Hat sich dein Verhältnis zu deiner Sprache durch den Deutschunterricht verändert?
Nein, eher das Verhältnis zur Grammatik. Ich habe ja immer Deutsch-Anfänger unterrichtet, da geht es um die ersten Drei-Wort-Sätze, um Redemittel für den Einkauf und den Arztbesuch. Das ist natürlich eine ganz einfache, reduzierte Sprache, die nicht besonders poetisch oder interessant ist.
Hattest du beim Schreiben Bedenken, dich in das politisch umkämpfte Feld von Asyl und Flucht einzumischen?
Das war das Schwierigste am Schreiben. Ich dachte: Wenn das Buch erscheint, werden mich alles hassen. Die Rechten und »Asylkritiker« sowieso, den linken Gruppen wird das Buch zu wenig links und die Sprache zu wenig vorsichtig sein, und die DeutschlehrerInnen werden die Hände über dem Kopf zusammenschlagen.
Und ich hatte Bedenken, Leute aus meiner Initiative zu porträtieren. Da fehlte mir ein wenig der Schriftstelleregoismus, schonungslos alles für das Werk auszuschlachten.
Das Schöne ist, dass meine Bedenken grundlos waren. Nur hin und wieder klärt mich nach einer Lesung ein Deutschlehrer über die Vorteile des Dativs auf.
Du beschreibst in deinem Buch auch die verschiedenen Helfer und Helferinnen in der Arbeit mit Geflüchteten – zu welchem Typus würdest du dich selbst zählen?
Ich gehöre schon zu den von mir beschriebenen »Kreuzbergerinnen«: ein bisschen verschusselt und verschlafen, dabei aber menschenfreundlich und erztolerant. Gestärkt durch das Stahlbad der Kreuzberger Kinderläden und Jugendeinrichtungen gegangen, sind sie immer bereit zum Perspektivenwechsel und versuchen dabei, den Imperialismus, Postkolonialismus und unseren systemimmanenten Rassismus mitzudenken. Manchmal müssen sie erkennen, dass viele Klischees trotzdem stimmen, sie machen aber unerschütterlich weiter.
Was ist das spannendste und schönste Erlebnis aus der Zeit deines Deutschunterrichts?
Meine Zeit des Deutschunterrichts dauert ja noch an, ich unterrichte immer noch zweimal wöchentlich Geflüchtete, nun aber gegen Bezahlung. Es passiert immer wieder etwas Lustiges. Zur Zeit geht uns ein wenig die Kundschaft aus – es gibt ja immer weniger Geflüchtete, die zu uns kommen. Letzte Woche haben wir das sowjetische Ehrenmal im Treptower Park in Berlin besucht und ein bisschen über den Zweiten Weltkrieg und die Opfer auf russischer und deutscher Seite geredet.
Das war sehr spannend. Wir machen aber auch immer viel Quatsch. Ich habe eine imaginäre Kasse eingeführt, in die man pro fünf Minuten Verspätung einen Euro einzahlen muss. Es zahlt zwar keiner ein, aber es wird immer viel gerechnet und beschuldigt und gelacht, vor allem wenn ich mal zu spät komme.
Interviews
Deutschstunden mit Geflüchteten
Christiane Rösinger erzählt im Interview von ihrem Deutschunterricht mit Geflüchteten und davon, wie es war, im politisch umkämpften Feld von Asyl mit Vorurteilen, Klischees und Wirklichkeiten geflüchteter Menschen umzugehen.