Es geht mir mit dem Buch »Daheim« so, wie mit allen meinen Büchern – wenn sie abgeschlossen sind, kann ich schwer glauben, dass ich sie geschrieben habe. Mit dem Ende eines Buches schließt sich ein bestimmter Raum, zu dem es für mich dann keinen Zugang mehr gibt. In gewisser Weise staune ich über den Text, und von heute aus gesehen staune ich auch über die eine oder andere Andeutung, die in den Zeiten der Pandemie plötzlich einen unbeabsichtigten und ganz merkwürdigen Sinn ergibt.
Der Roman zieht tastende Wege zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart, ja. Er erzählt von der Erinnerung und vor allem vom Unwägbaren der Erinnerung, von ihrer Unzuverlässigkeit. Erinnern wir, was wir erinnern wollen? Oder erinnern wir, was wirklich gewesen ist und was eigentlich ist »wirklich«. Ich selber habe keine lineare Erinnerung, mir geht es wie der Ich-Erzählerin, ich erinnere eher Atmosphäre, unzusammenhängende Augenblicke, ein unerwartetes Aufblitzen von Bildern. Der Roman geht im Leben der Erzählerin weit zurück und Erinnern ist eine Aufgabe – die Erzählerin ist aufgefordert, das Vergangene noch einmal und noch einmal neu zu bedenken.
Ich glaube, das Alter, in dem die Erzählerin ist – Ende 40 –, kann den Eindruck vermitteln, bestimmte Dinge wären vorüber und vorbei. Die großen Entscheidungen sind getroffen, und es bleibt nicht mehr so viel übrig, außer da zu sitzen und anzusehen, was gewesen ist. Eine Zäsur – und wie dann aber weiter? Die Erzählerin erwartet einen gewissen Stillstand – stattdessen geschieht doch noch einmal etwas, und es passiert nicht gerade wenig. Das macht sie wach – und es macht sie wehrhaft. Sie lässt sich aufs Alleinsein und auf alle damit verbundenen, plötzlich möglichen Neuanfänge ein. Sie ist mutig – und der Mut bringt die Wehrhaftigkeit mit sich. Und vielleicht sind Wehrhaftigkeit und Mut letztlich ein und dasselbe.