ein merkwürdiges Bild, das Du mir da schickst. So wachsen die Dinge in die Welt ein. Wo hast Du es her? In mir weckt es nur (?) die Erinnerung daran, dass ich als Bub gern mit dem Luftdruckgewehr geschossen habe – und ich immer noch gerne einmal auf Fasanenjagd gehen würde. Und mir fällt ein, dass man nicht bei allen Bildern sagen kann, woher sie stammen. Vorhin, beim langen Gehen im frischen, aber schon Nachtlicht in sich tragenden Schnee, nicht einem Menschen begegnend, erschien mir das als ein rettender Gedanke. Wen rettend? Mich vielleicht einmal, ersaufend in dieser Facebook- und i-Welt.
Und sonst? Es ist ruhig. Wir hatten auch ruhige Weihnachten, so, wie ich es mir gewünscht habe. Das oft dunkle Licht hat alles langsam gemacht, und ich wollte einzig, es wäre noch langsamer. Glaube niemandem, der sagt, er wolle die Zeit anhalten! Mir aber schon. Ich könnte ewig sitzen. (Dachte ich etwa auf dem Hof von I.s Großeltern in Kärnten, beim abendlichen Sitzen in der Küche, ein Glas, ein Buch, und das Knacksen der brennenden Scheite im Ofen.) Habe Victor Serge gelesen; eine bewundernswerte Poesie. Es gibt zumindest noch ein weiteres Buch von ihm auf Deutsch, ich habe es mit Absicht nicht gekauft, hebe es mir auf für die Zeit nach dem Schreiben. Wann wird das sein? Im Sommer, ojalá. Dann werde ich auch Dein neues Buch lesen können?
Liebe Grüße,
Dein Reinhard
Lieber Reinhard,
das Foto von der Wacholderwinchester stammt aus einer kleinen Serie, die Spiegel Online letzte Woche veröffentlichte, hier kannst Du den Artikel nachlesen und Dir sechs Bilder von dem Gewehr ansehen:
http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/132-jahre-altes-winchester-gewehr-an-einem-baum-in-nevada-entdeckt-a-1013306.html
Schon seltsam, sich vorzustellen, ausgerechnet so ein tödliches Werkzeug – ich habe keinerlei Erfahrung mit Schusswaffen – lehnt da über hundert Jahre lang an einem Baum. Wacholder, las ich, wächst besonders langsam. Ist beinah reglos. Aus einer anderern Zeit. Und der Winkel in Nevada muss besonders einsam gelegen sein. Dennoch war die Welt auch dort dieselbe. Die gesamten Leben meines Großvaters und seiner Mutter begannen und verstrichen, während das Gewehr bewegungslos an dem Baum lehnte – oder besser: für unser Auge bewegungslos. Denn sehr, sehr langsam ist es in den Boden eingesunken, über ein Jahrhundert hinweg etwa um eine Handbreit. Und hat sich in sich auch bewegt. Du, mit Deiner Kindheit und Jugend, Du weißt, wie hart das Holz eines Gewehrschafts ist, Nussholz oft. Der Schaft der Wacholderwinchester ist nur noch mürbe, halb zerfallen und zerfressen.
Und der das Gewehr an den Baum lehnte seinerzeit, wer war er? Und wieso hat er die Büchse stehen lassen? Da ist vieles möglich, und sicher nur, dass hier ein Gewehr erzählt. Sehr wahr, was Du schreibst, mir geht es nicht selten genauso wie Dir, wenn ein Bild eine Art Eigenleben entwickelt, weil seine Herkunft, seine Echtheit, was immer, Raum für Spekulationen öffnet, dann fühle ich mich gerettet. Es wird noch erzählt. Wir erzählen einander noch! Und die Dinge uns. Von sich. Und wir ihnen? Ja.
Nein, mein Lieber, die Zeit anhalten, das kannst nicht mal Du, der mir darstellt, wie sie sich dehnt und zusammenzieht. Deine beiden Flieder-Bücher können das, und Du machst mir die Zeit auch begreiflich in ihrer Schwere, ihrem Lasten. Natürlich liegt die Lösung (die Loslösung) in mir, ich bin ja kein Wissenschaftler, sondern ein Halbwissen- und oft Unwissenschaftler. Mein Arzt lacht, wenn ich ihm sage: »In meinem Magen scheint die Sonne.« Aber so lautet eine der schönsten Liedzeilen, die ich kenne: »I got sunshine in my stomach«, und weiter: »… like I just rocked my baby to sleep.« Was übrigens übers Zeithaben viel aussagt! Denn hat nicht, wer liebt, mit einem Mal Zeit? Das Verstreichen der Zeit ist ihm von Herzen egal.
Du und ich, wir werden dies Jahr also beide mit Erzählungen daherkommen. Deine »Zeichnungen« erscheinen im Frühjahr, mein »Feuerland« im Herbst. Ich freue mich schon sehr auf Dein neues Buch, lieber Reinhard! Täusche ich mich, oder weist die Form, die Du gewählt hast, zurück auf den »Langen Gang über die Stationen«? Überprüfst Du so, was Dir dieses prächtige Buch noch zu sagen weiß?
Ich schicke Dir ein Gedicht aus dem »Traklpark«[1], das mir zu dem Wacholdergewehr zu passen scheint. Sei Du sehr herzlich gegrüßt! Wenn Du magst, schick mal ein Foto von Dir im Schnee.
Dein Mirko
Gettysburg
Ein Knie, ein Arm, im Gras ein halbes Ohr,
wo die Zerfetzten lagen, die schon Toten,
aufgebläht, zerpflückt von Krähen Pferde,
wo Blut in Lachen stand, in denen morsch,
kaputt, ein Sterbender ertrank, wächst jetzt
bei leichtem Wind in dicken Büscheln Gras.
Und in der Luft sind Hummeln und Libellen.
Berberitzen, es gibt Büsche, Flieder, Hasel,
tief unterm Gras erinnert sich die Wurzel,
dass es sie gab, an ihren Duft im Sommer,
wo über Baltimore ein Abfangjäger jetzt,
der weder steigt noch fällt noch dreht, nur
steht. Die Zeit fing Feuer, und brennt noch.
Vom Highway 15 her rauscht Fernverkehr.
Siebenhundert Grad heiß war die Juliluft.
[1] aus: Mirko Bonné, Traklpark. Gedichte © Schöffling & Co. Verlagsbuchhandlung GmbH, Frankfurt am Main 2012.
Lieber Mirko,
einmal – auf einer Party, die eine Blutsverwandte von jenen bei Fitzgerald war – kam ich mit einem ins Reden, der zu mir sagte, er lese im Grunde nur, um dabei hin und wieder auf einen schönen Satz zu stoßen; das, was sich dazwischen finde, interessiere ihn kaum. Nicht nur, weil es mir ähnlich geht, horchte ich auf, sondern ich begriff da plötzlich, dass ich das auch über mein Schreiben sagen könnte. Und dann also die Erzählung, das Erzählen selbst, als Mittel zum Zweck? Der Erzähler ein lausiger Betrüger, der bloß die paar schönen Sätze, auch bloß Halbsätze, die er hat, unterbringen will, und sich zwischen ihnen ein halbwegs taugliches Netz spannt? Und wenn es so wäre, wäre es doch kein allzu schäbiger Betrug. Ein, falls es das gibt, gültiger jedenfalls. – Meine Bilder, jetzt, kommen nie von außen, sondern von anderswo her; von »dort hinten« oder »dort unten«, der Erinnerung und der Phantasie, die Seite an Seite wohnen, vielleicht eines sind; das Sinnieren holt sie, die Bilder, eines ums andere, hervor.
Das neue Buch ist nicht unbedingt ein Band mit Erzählungen – oder nicht das, woran man so denkt, wenn man das hört. Denn es sind bloß drei, dafür lange, und mir zählt jede davon so viel wie ein eigenes Buch. (Ohnehin sehe ich nicht, wo der Unterschied zwischen einer langen Erzählung und einem kurzen Roman sein soll.) Aber ich fand, sie würden sich auch gut zusammen machen, und so ist es geworden, wie es ist. Das Umschlagmotiv stammt von einem schwedischen Künstler; wie ich dazu kam, ist eine – halb schöne, halb traurige – Geschichte für sich. Es ist eine wunderbare Kaltnadelradierung, entstanden in meinem Geburtsjahr auf irgendeiner Schäre; das Original (»Starar« = Stare) besitze ich inzwischen.
An mein erstes Buch, weil Du es erwähnst, denke ich nie mehr. Ich habe es seit der letzten Lesung daraus nie wieder aufgeschlagen. Ich weiß gar nicht, was es mit mir zu tun haben soll, und wenn jemand etwas dazu sagt, nehme ich die Worte wie ein Stellvertreter entgegen. Aber das kann ich eigentlich zu allen meinen Büchern sagen. Seltsam? Vielleicht, vielleicht nicht. Versuche, das Vaterunser in einen Stecknadelkopf zu ritzen ... Versuche, ein Gespenst zu fangen ... Versuche, einen Traum nachzuerzählen, an den man sich nicht mehr erinnern kann ... das ist es, was wir machen, wieder und wieder, und ein jeder auf seine Weise.
Das Gedicht: danke dafür! Es war ein Wiederlesen, erfreulich und erhellend wie ein schönes Wiedersehen.
Apropos Wiedersehen: Kommst Du in diesem Jahr einmal nach Österreich? Nach Wien? Es gibt so viele Bars dort, und in zumindest einer davon sollten wir doch bald einmal lange sitzen und über all das sprechen. Und über Deine Erzählungen, von denen ich ein paar bereits kenne. Wann, bei den vielen Terminen im letzten und vorletzten Jahr, hast Du sie geschrieben? Ich hoffe, Du kommst, denn ich werde bald wieder mehr dort sein – wir haben eine Wohnung gekauft.
Herzlich grüßt
Dein Reinhard
Lieber Reinhard,
eine Wohnung in Wien habt ihr euch gekauft, pendelt aber weiterhin zwischen Österreich und Schweden. Das sind sagenhafte Entwicklungen, sie sprechen, das tun die Dinge ja, wenn man die Ohren für sie hat, von Deinem, eurem zukünftigen Leben. Du wirst ein bedeutender österreichischer Erzähler sein, bist es schon, wenn man Dich kennt und Deine Bücher aufmerksam liest. Du tust jedoch, auch das gehört dazu, dem »Langen Gang über die Stationen« Unrecht.
Du hast da ein unvergessliches Buch geschrieben, ein bleibendes, ein unverbrüchliches!
Findest Du denn, dass Fitzgerald im Gatsby eine Ansammlung schöner Sätze und Nebensätze geliefert hat? Ich kann Dir da nicht folgen. Seine Frau Zelda, die als Erzählerin leider völlig unterschätzt wird, hat in ihrem von F. Scott zensierten Roman »Save Me the Waltz« eine Party-Situation beschrieben, die mir auch für unsere Zeit symbolisch erscheint, Zelda beschreibt nämlich eine Party (im Paris der 1920er Jahre), die praktisch nicht mehr endet, die endlos ist, weil ständig neue Gäste kommen. Als wären sie über Facebook oder What's App informiert, strömen sie aus Cannes, Antibes oder Grasse an die Rive Gauche in die Wohnung, in der seit Jahren ununterbrochen gefeiert, getanzt und Gin Fizz getrunken wird.
Gut, klar, jede Form von moralinsaurer Literatur ist eine verlogene. Sie lügt mich an und sich selber in die Tasche. Ich sehe mein Schreiben aber mit den Jahren immer weniger überhaupt als Literatur.
Literatur interessiert mich nicht. Begeistert verfolge ich alles, was mir Menschen wie Du über ihr Schreiben erzählen. Übrigens glaube ich, dass hier meine Liebe zu Handke wurzelt. Literatur ist ihm – auf einer Ebene, allerdings einer wichtigen – stets, schon seit den Sechzigern, gleichgültig. Aber da ist etwas anderes in seinem Schreiben, seinem Sprechen, der Bewegung, die er lange ja auch als Reisender sozusagen »auf dem Papier des Landes« vollzogen hat –, und das ist mehr als Ästhetik, da geht es um Lebendigkeit, Austausch mit Nebensächlichkeiten, die eine Bedeutung erlangen können, ein Stern, ein Strand, ein Hund, ein Hut. Das sind dann Begegnungen, die erzählen und weitererzählt werden wollen, Überlieferung kommt ins Spiel, Gott ist dann plötzlich da, wie bei Handke, wenn er ganz an den Rand geht und der Prinz von Nirgendwo wird, sehr häufig.
Übrigens würde das Wacholdergewehr, glaube ich, ihm gut gefallen und auch nachdenklich stimmen, wenn es in der Presse nicht derart breitgetreten worden wäre.
Meine Erzählungen, nach denen Du fragst und von denen Du einige kennst, sind nicht in der unruhigen Zeit nach der Shortlistnominierung entstanden, sondern fast alle älter. Die älteste stammt von 1999, die jüngste entstand 2013, und an einer, »Die Nächte im Garten«, arbeite ich noch. Alles, woran ich schreibe, ist ja inzwischen dutzendfach überarbeitet, ich bin ein Trojaner, ein Palimpsest-Bewohner. Und sehe überall die Spuren dieser Farce von einem Leben. Das viel zu lange lieblos war. Was sich ändern wird! Ja, schon geändert hat!!
Vorgestern sah ich mir mit meinem Sohn im Kino einen schwedischen Film über die absurde Trostlosigkeit des Daseins an, »Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach«, ein Film, der mich verstört, aber auch nachdenklich gemacht hat. Von 30 Zuschauern verließ die Hälfte das Kino. In einem Göteborger Vorstadtcafé von heute tauchen plötzlich Soldaten aus dem 17. Jahrhundert auf. Der junge König reitet auf einem großen Rappen in das Café, er wirkt sehr traurig, verlangt ein Glas Mineralwasser, und das Pferd steht dann mitten im Schankraum, während draußen die gelb-blauen Soldaten mit Lanzen und Fahnen vorüberziehen in die Schlacht gegen die Russen.
Ich bin jetzt oft traurig wie der junge König von Schweden. In der Gleichförmigkeit, in der fortgesetzten Einschränkung, wie ich sie in den letzten Jahren leider allzu oft erlebe, liegt das Glück nicht – mag sein, das ist im Alter anders.
Ich wünsche Dir von Herzen gute, erfüllte, glückliche Tage, lieber Reinhard. Grüße Deine Liebste.
Sehr herzlich
Dein Mirko
aus: ›Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach‹, www.einetaube.de
Lieber Mirko,
wer mit seinem Sohn ins Kino geht – und sei der Film auch ein schwedischer – kann nicht allzu lieblos sein, meine ich. Das ist das eine, und das andere: wenn Dein 18-jähriger Sohn freiwillig mit Dir ins Kino geht ... Und auch Deine Bücher sind keine der Lieblosigkeit, im Gegenteil. Mir fällt dazu ein Satz ein, der sich in Stifters »Mappe« findet. Da heißt es: »(...) und wenn du dein Herz aufgeschrieben hast, so sind, ich rufe Gott und alle Heiligen, die Schriften auch etwas wert.« Das als Anleitung dem, der Anleitung braucht (ich, solche, immer wieder).
Von hier aus könnte man auch über Peter Handke sprechen, den Du erwähnst und bei dem die Liebe keine Rolle spielt. Ich höre Dich widersprechen und lenke ein – aber nur, um zu präzisieren: die Liebe zu den Dingen, ja; aber Liebe zu Menschen gibt es da fast nicht; denn aus der Ferne zu lieben – zählt das etwa? (Oder sagen wir: aus der Ferne zu lieben, wenn Nähe möglich wäre.) Alles wird benannt, aber die Menschen bleiben meist namenlos ... Seine Journale – und habe ich mich überhaupt je für die Zusendung von »Gestern unterwegs« bedankt? wenn nicht, sei es hier nachgeholt! – gehören für mich zum Schönsten. Alles andere aber lässt mich seltsam kalt.
Zelda Fitzgerald ist mir nur aus den Briefen von F. Scott an Hemingway bekannt, das genannte Buch habe ich nie gelesen. Er, Scott, war jedenfalls ein sehr guter Schriftsteller, viel, viel besser als »Papa«, von dem nur – wenn man von Romanen spricht – »In einem anderen Land« etwas taugt. Aber auch ihn lese ich nicht mehr. Was kann man überhaupt alles wiederlesen? Manchmal das Bedürfnis, nur noch wiederzulesen – und ja nichts Neues mehr. Denn wie heißt es im Gedicht: »...und Monate rauschen / wie Schneeflocken an uns vorbei«. Und »Monate« werden wir durch »Jahre« und, später, »Jahrzehnte« austauschen können – müssen.
Noch einmal Stifter: »Die Liebe geht vorwärts, nie zurück.« Ich weiß nicht mehr, wo das steht, in irgendeiner Erzählung, glaube ich. Aber es trifft auch auf die (meine) Arbeit zu, und deshalb tue ich ihr vielleicht nicht unbedingt Unrecht, wenn ich sage, dass sie, wenn veröffentlicht, vorbei ist. Für mich – meine Herkunft? – zählt nur das Tun (und das zu Tuende), in allem anderen bin ich nicht. Ich gehöre nicht zu denen (wie mein Freund Wolfgang Hermann), die es lieben, geschrieben zu haben – mich befällt dann vielmehr der schwarze Hund.
Deine Erzählungen werde ich jedenfalls in Österreich lesen. Im Sommer. Wie weit scheinen sie noch entfernt!, diese zwei, drei Monate, in denen ich auf die erfreulichste Weise verbauere und nicht ans Schreiben denke. Vielleicht, wenn es regnet, lese ich das Buch an meinem viele Jahrzehnte, vielleicht ein ganzes Jahrhundert alten Schreibpult mit der matt-rötlichen Birnbaumplatte, das vor Jahren Freunde restaurierten und mir schenkten, oder, wenn das Wetter schön ist, unter den beiden alten Birnbäumen, die schon etwas dürr sind und in denen neuerdings Falken nisten. Im vergangenen Jahr sah ich sie zum ersten Mal (die Falken) und las in meinem Raubvogel-Buch, dass sie im Sturzflug fast 400 km/h erreichen. Nach Wien ist es von dort nicht weit. Es ist ja I.s Heimatstadt, und wir sind auch jetzt bei jeder Gelegenheit dort. Allein der Kaffeehäuser wegen darf man aus Wien nie ganz wegziehen.
Es soll Dir gut gehen!
Sehr herzlich:
Dein Reinhard
Lieber Reinhard,
Deine Kritik an Peter Handkes Liebe zu den Dingen und Gegenständen unterstütze ich, ja, einer von uns sollte dem Handke Peter das mal sagen: Diese Liebe, die so phänomenal sein kann, macht leider allzu oft einen Gegenstand auch aus den Leuten, die selber ein Herz haben und es nicht selten auf der Zunge tragen. Wer Handke liest, ist allein. Und entdeckt den Reichtum der Abgeschiedenheit. Es erscheint mir nicht als Wunder, wenn ich mit nun fast 50 noch immer und immer lieber Handkes Bücher lese, und plötzlich sogar die verstiegenen und scheinbar verschwafelten späteren. Sie bilden alle ein Elixier gegen die Lebensmüdigkeit, sind ein »Versuch über die Liebe zum Leben«.
Holzwege.
Wozu das ganze Buchstabenaneinandereihen, wenn da keine Liebe ist oder du nicht lieben kannst. Es fällt mir immer schwerer, mich theoretisch zu äußern über mein Schreiben oder gar die Literatur. Ich weiß nur immer sicherer, dass es mir leicht fiele, aufs Schreiben zu verzichten, hätte ich die Kraft und Muße zu alleiniger Betrachtung oder dürfte ab und an »verbauern«, wie Du es so schön nennst. Wäre da ein unmittelbareres Berühren von Wirklichkeit und müsste da nicht ständig die Unwirklichkeit durchbrochen werden durchs Schreiben. Seit Monaten ist es kalt, verregnet, nass oder klamm in Hamburg, an drei Tagen vielleicht schien die Sonne – und dennoch bin ich glücklich, seit ich jeden zweiten Tag wieder am Fluss entlanglaufe und den Vögeln in den kahlen Bäumen dabei zusehe, wie sie nicht aufstecken, wie sie weitermachen, immer weiter, und dabei singen sie sogar!
Die allerersten sehr schmalen Spuren von Vorfrühling sind trotz Frostnächten zu spüren. Und Auden schrieb: »We must love one another, or die.« Und merkte wohl selbst, welches Teufelspferd er da aus dem Stall geholt hatte. Jedenfalls änderte er den Vers ab und schrieb stattdessen: »We must love one another, and die.«
Mit großer Vorfreude warte ich auf Deine drei Erzählungen, lieber Reinhard! Ich lese Deine Bücher ja nur zur Hälfte Deiner Figuren und Landschaften und Zeitentwürfe wegen. Genauso lieb sind sie mir aufgrund Deiner Sprache, des Satzbaus, der Irritationen, der Eigenheiten.
Kommt gut durch den Schnee! Er ist das, was wir nicht anhalten können.
Sehr herzlich
Dein Mirko