Ich wusste: Sollte ich diesen Preis bekommen, würden mir die Worte fehlen. Nicht Worte der Dankbarkeit. Es gibt viele Menschen, denen ich sehr dankbar bin: aus meinem Verlag, meiner Agentur und Silvia Bovenschen, der dieser Roman gewidmet ist.
Ich wusste auch: Ich kann nicht sprachlos vor Ihnen stehen. Nicht in diesen zänkischen Zeiten. Und vor allem nicht nach Erhalt eines Preises (für den ich der Jury herzlich danke), der einem Roman gilt, der die erzwungene Sprachlosigkeit einer jungen Frau umkreist und ihr Vermögen, sich der Sprache und damit der gesellschaftlichen Sichtbarkeit wieder zu bemächtigen.
Am liebsten hätte ich über Sprache reden wollen, Sprache als ästhetischer Spielplatz, als etwas, das für uns alle, die wir schreiben, so elementar ist. Für Lucia Berlin war sie die Brücke über den Abgrund, für mich ist sie ein Ort des Berauscht- und Entrücktseins und zugleich Irritation und Wagnis. Aber sobald ich darüber sprechen will, übertönen mich Gezerre und Gezeter, und ich lande mitten in einem furchtbaren Krieg; dem Krieg, der heute verbissen um Bezeichnungen und Benennungen geführt wird, also darüber, wer wir sein dürfen und wer das Sagen darüber hat. Der damit verbundene Hass ist befremdlich und bedrohlich, aber ist er nicht auch schrecklich normal? Kriege wurden schon aus geringfügigeren Anlässen geführt!
Das muss ich ansprechen, wenn mich das Licht der Öffentlichkeit streift. Schließlich schreibe ich seit Jahren Figuren, die dem, was allgemein als normal gilt, als selbstverständlich, ganz selbstverständlich widerstehen. Die eher auf die Schlupflöcher in dieser Normalität verweisen (oder sollen wir »Norm« sagen?), weil sie keine Möglichkeit oder kein Interesse daran haben, sie für sich zu beanspruchen. Weil diese Normalität nur deshalb normal ist, weil sie da ist, und nicht etwa, weil sie gut ist. Eine der weniger subtilen Strategien zur Sicherung dieser Bastion ist ja das Bashing einer Haltung, die sich weigert, länger mit dem üblichen »Jetzt habe dich nicht so«, »Stell dich nicht so an« auf die Erfahrung von struktureller Demütigung, Gewalt oder bloß Ignoranz zu reagieren. Also das Bashing von – jetzt hätte ich fast »politische Korrektheit« gesagt! Ein schmutziger Begriff! So schmutzig, wie es bis vor kurzem auch das Wort »Feministin« noch war. Für Virginia Woolf ein korruptes Wort, das nur noch dazu diene, diejenigen auszuschließen und zu demütigen, die es einmal bezeichnet habe.
Solche Worte, schreibt Woolf, werden von »Klingel-an-der-Tür-und-renn-weg-Männern« zum Verunglimpfen benutzt. Eine Beobachtung, die auch Ihnen vielleicht irritierend bekannt vorkommt. Das Internet ist voller »Klingel-an-der-Tür-und-renn-weg-Männer«. Die Demokratie gefährden jene, die das Ende ihrer jahrhundertealten Meinungshoheit zum Ende der Meinungsfreiheit erklären.
Aber ist es denn nicht selbstverständlich, dass man mit dem Namen angesprochen werden möchte, unter dem man sich auch angesprochen fühlt? War das für die, die heute am lautesten schreien, nicht immer selbstverständlich?
Vielleicht ist es ja zu einfach, um für wahr gehalten zu werden. Da werden wir misstrauisch. Kann es wirklich so einfach sein?
»Vielleicht muss das Selbstverständliche erst wieder unverständlich werden, um selbstverständlich zu bleiben.« Das ist ein Satz von Ilse Aichinger, der auch daran erinnert, dass die Sprache beweglicher ist und wandelbarer als wir in unseren Gewohnheiten. (Obwohl wir sie ja angeblich erfunden haben.)
An dieser Wandelbarkeit habe ich Freude, an einer Sprache, in der Spielen ausdrücklich erwünscht ist, die ins Stolpern kommen darf und Ungesichertes aushält. Und bei aller Freude am sprachlichen Wagnis, am beweglichen Wort, ist eines sonnenklar: Rávik und ich sind Schriftstellerin (nicht: Schriftsteller), und als solche manchmal ausgezeichnet mit einem Sternchen!
Stubels Dankesrede im Kaisersaal des Frankfurter Römer, 18. 10. 2021.